1946 fand A.E. Mourant (1904 -1994) im Serum einer Mrs. Lewis einen Antikörper, der mit den Erythrozyten von etwa 22% der Bevölkerung reagiert. Er nannte den Antikörper anti-Lea, das korrespondierende Antigen Lea.

2 Jahre später beschrieb P.H. Andresen aus Kopenhagen einen Antikörper, der mit den Erythrozyten von 72% der Bevölkerung reagierte. Alle diese Erythrozyten waren Lea-negativ, so dass man glaubte, man habe das korrespondierende Allel gefunden. Man bezeichnete das Antigen als Leb, den zugehörigen Antikörper als anti-Leb.

Bald wurden jedoch Beobachtungen gemacht, die mit den klassischen, für die meisten anderen Blutgruppensysteme geltenden Regeln nicht konform waren. Es wurden Ehepartner gefunden, die beide Lea-negativ waren – und trotzdem Lea-positive Kinder hatten. Das gleiche galt für Leb. Und: es wurden Individuen gefunden, die sowohl Lea– als auch Leb-negativ waren.

So wurde sehr schnell klar, dass Lea und Leb nicht einfach die Produkte zweier Allele sein können, sondern dass hier ein sehr viel komplexeres System vorliegen muss.

Biochemie/Genetik

Die Biochemie des Lewis-Systems ähnelt sehr der des AB0-Systems. Vergleichbar dem AB0-System baut auch das Lewis-System auf ein Carrier-Molekül auf und ist durch die Modifikation der endständigen Saccharide dieser Carriers durch Glycosyltransferasen charakterisiert. Das Carrier-Molekül des Lewis-Systems ist identisch mit dem Carrier-Molekül Typ 1 des AB0-Systems.

Das Lea-Antigen

Im Gegensatz zur H-Substanz des AB0-Systems, die durch Bindung eines Fucose-Moleküls an die endständige Galaktose des Carrier-Moleküls entsteht (α1-2-Fucosyltransferase 1, FUT1-Gen), wird bei der Entstehung des Antigens Lea das Fucose-Molekül nicht an die endständige Galaktose, sondern an N-Acetylglucosamin gebunden. Verantwortlich hierfür ist die α1,4-Fucosyltransferase 3. Dieses Enzym wird genetische durch das sog. LE- oder FUT3-Gen (Lewis-Gen) determiniert, das auf dem Chromosom 19 (19p13.3) lokalisiert ist. Ist dieses Gen aktiv, wird die α1,4-Fucosyltransferase gebildet und es entsteht Lea. Ist das Gen nicht aktiv, wird keine α1,4-Fucosyltransferase determiniert, das Carrier-Molekül bleibt unverändert und es entsteht kein Lea-Antigen.

Biochemische Struktur des Lea-Antigens:

Das Leb-Antigen

Im Lewis-System spielt zuzüglich ein weiteres Gen  eine entscheidende Rolle: das SE- oder FUT2-Gen (Sekretor-Gen). Dieses Gen, das sehr eng mit dem FUT1-Gen verbunden und ebenfalls auf dem Chromosom 19 lokalisiert (19q13.33) ist, bewirkt 2 Effekte:

a) es triggert die Sekretion von ABH-Substanzen mit den Köperflüssigkeiten (ca. 80% der Menschen scheiden ABH-Substanzen mit den Körperflüssigkeiten, z.B. Speichel, aus – sog. „Sekretoren“)

b) es kodiert – wie das H- bzw. FUT1-Gen im AB0-System – eine α1,2-Fucosyltransferase (α1,2-Fucosyltransferase 2), die (entsprechend der α1,2-Fucosyltransferase 1 im AB0-System) eine Fucose an die endständige Galaktose bindet. Damit sind nun sowohl am N-Acetylglucosamin als auch an der Galaktose der Grundsubstanz jeweils ein Fucose-Molekül gebunden und das Antigen Leb entstanden.

Biochemische Struktur des Leb-Antigens:

Beim Antigen Leb handelt es sich also genetisch nicht um ein Allel des Lea-Antigens, sondern um dessen biochemische Modifikation. Das (aktive) LE-Gen modifiziert das Carrier-Molekül zu Lea und das (aktive) SE-Gen macht aus Lea (wenn vorhanden) Leb.

Beachte:

1. Die Antigene des Lewis-Systems werden nicht wie die Antigene der anderen Blutgruppensysteme in zellulären Membranen, sondern im Plasma synthetisiert und anschließend passiv auf die zelluläre Membran von Erythrozyten  und anderen Körperzellen (z.B. Thrombozyten, Lymphozyten, Magenmucosa, Pancreas usw.) adsorbiert. In realiter ist damit das Lewis-System kein Blutgruppensystem im eigentlichen Sinn, sondern eher ein plasmatisches Antigensystem (man kann Lewis-Antigene im Plasma nachweisen). Trotzdem wird es weltweit unter die Blutgruppensysteme subsumiert.

2. Lea+/Leb+ -Personen (also Personen, die sowohl das Lea-Antigen als auch das Leb-Antigen tragen) dürfte es nach der geschilderten Theorie eigentlich gar nicht geben. De facto sind sie auch extrem selten. Wenn diese Konstellation auftritt, dann deshalb, weil
a) aufgrund einer reduzierten Enzymaktivität der α1,2-Fucosyltransferase 2 nicht das gesamte Lea nach Leb umgewandelt wurde oder
b) Lea+/Leb- -Personen (also Personen, die nur das Lea-Antigen aufweisen) mit größeren Mengen GFP (Gefrorenem Frischplasma) von Leb -positiven Personen transfundiert wurden und die Leb-Antigene aus dem transfundierten Plasma an die Erythrozyten der Patientin/des Patienten absorbiert wurden (passagerer, iatrogener Effekt).

Vererbung

  • LE (Gen aktiv) ist dominant über le (Gen nicht aktiv)
  • SE (Gen aktiv) ist dominant über se (Gen nicht aktiv)

Häufigkeit des Phänotypus

Die Häufigkeitsverteilung der Le-Blutgruppe stellt sich in Mitteleuropa – entsprechend dem Modus der Vererbung – wie folgt dar:

PhänotypHäufigkeitGenotyp
Le(a-b+)72 %LeLe, LeleSeSe, Sese, SeSe, Sese
Le(a+b-)22 %LeLe, Lele sese, sese
Le(a-b-)6 %leleSeSe, Sese, sese

Bedeutung für die Transfusion

Lewis-Antikörper (anti-Lea und anti-Leb) gehören in der Regel der IgM-Klasse an.

Anti-Lea-Antikörper werden nur von Le(a-b-)-Individuen gebildet. Dies liegt daran, dass auch bei Le(a-b+)-Individuen noch geringe Restmengen an Lea-Substanz im Plasma zirkulieren (die Umwandlung von Lea in Leb bei Sekretoren – s. oben – geschieht im Plasma nur inkomplett). Anti-Leb-Antikörper werden von Le(a+b-) und von Le(a-b-) Individuen gebildet, wobei ersteres nur selten der Fall ist.

Anti-Lea-Antikörper und anti-Leb-Antikörper lösen im Falle inkompatibler Transfusionen nur selten hämolytische Transfusionsreaktionen aus (anti-Leb-Antikörper noch seltener als anti-Lea-Antikörper). Allerdings gibt es insbesondere bei anti-Lea-Antikörper Einzelfallberichte, in denen eine hämolytische Transfusionsreaktion beschrieben wurde. Deshalb sollte insbesondere Anti-Lea (aber auch Anti-Leb) bei der Transfusion von Erythrozytenkonzentraten berücksichtigt werden.

Ein Versorgungsproblem kann dann entstehen, wenn von Le(a-b-)-Patienten sowohl ein anti-Le-Antikörper als auch ein anti-Leb-Antikörper gebildet werden. Dann sind nur noch Erythrozytenkonzentrate der Blutgruppe Le(a-b-) kompatibel – und diese Blutgruppe weisen nur ca. 6% aller Blutspenderinnen und Blutspender auf. Handelt es sich dann noch um Patientinnen/Patienten mit seltenen AB0- oder Rhesus-Blutgruppen (z.B. B Rh negativ), kann die Versorgung große Probleme bereiten.

Bedeutung für die Schwangerschaft

Lewis-Antikörper können keinen Morbus hämolyticus neonatorum (Mhn) hervorrufen. Dies liegt zum einen daran, dass sie in der Regel IgM-Antikörper sind und daher die Placentaschranke  nicht durchdringen können. Zum anderen haben Feten noch keine Lewis-Antigene aus dem Plasma auf ihren Erythrozyten absorbiert, so dass es – selbst wenn Antikörper aus dem mütterlichen in den fetalen Kreislauf gelangen könnten – zu keiner Hämolyse führen kann.